Manchmal ist man ja als Randonneur auch ein wenig unvernünftig. So kam mir Anfang Dezember der Gedanke, die alljährliche Neujahrstour nicht am 1. Januar in Stormarn, sondern am zweiten in Oxford zu fahren.
Ich recherchierte im Internet und stellte fest, dass der Termin machbar wäre, wenn das Wetter mitspielt und die Kosten nicht so astronomisch werden würden, wie zuerst gedacht. Also wurde flugs einen Familienrat abgehalten und beschlossen, die Eltern fahren allein in die Ferne.
Mit dem Warten auf Neujahr wuchs die Sorge, ob das Wetter mitspielen würde; nicht nur in England, sondern auch in Norddeutschland, den Niederlanden, Belgien und Frankreich. Denn irgendwie muss man sein Fahrrad ja auch zum Start bringen, und da bleibt das Auto einfach unschlagar. Um es kurz zu machen, das Hoffen wurde belohnt, am Neujahrsmorgen um sechs war es neblig und ein bischen glatt im Hamburger Raum, doch danach war das Wetter bestens. So gab es keine Schwierigkeiten, die Fähre in Dünkirchen um 16:00 Uhr zu erreichen. Dank der britischen Zeitzone waren wir trotz zweistündiger Fahrt schon um 17:00 Uhr in Dover. Dunkel war es trotzdem. Damit war dann auch mir klar, dass ich das Brevet am Samstag wohl bei Dunkelheit beenden würde.
Nach weiteren zweihundert Kilometern waren wir in Oxford, checkten im Premier Inn, einem günstigen aber durchaus empfehlenswerten Hotel, ein. Schnell noch ins Restaurant und dann zu Bett; die dreizehn Stunden Fahrt waren doch ermüdend, so direkt nach Silvester.
Um sechs Uhr irgendwas klingelte der Wecker, aber ich war schon vorher wach. Irgendwie hatte ich nicht so gut geschlafen, war aufgeregt. Dabei wollte ich doch nur einen Zweihunderter fahren, keine große Sache also. Leider konnte ich kein Frühstück vor sieben Uhr bekommen und das bedeutete, mir auf dem Weg zu Start, der zehn Kilometer vom Hotel liegt, zu holen. Leider verfuhr ich mich auf dem Weg so intensiv, dass ich die eingeplante Zeit verbrauchte. Nun, zwei Bananen und ein Müsliriegel würden dann halt für die ersten achtzig Kilometer reichen müssen.
Nach der Irrfahrt durch Oxford erreiche ich jedenfalls um viertel vor Acht den Start. Der feine Regen macht eine kurze Pause. Immerhin, es sind sechs Grad über Null, der erwartete Sturm ist ausgeblieben. Da bin ich schon bei schlechterem Wetter gestartet.
In einem Wartehäuschen werden die Kontrollhefte vom Veranstalter Pat Hurt und seiner Frau ausgegeben. An der Scheibe klebt ein Zettel mit der Aufschrift „AUK Control“, das ist alles. Auf dem Park and Ride Parkplatz neben der Bushaltestelle sehe ich etliche Radfahrer, die sich alle irgendwie vorbereiten. Das kommt mir wohlbekannt vor. Ich erfahre, dass sich 110 Starter angemeldet haben. Und das Anfang Januar! Audax UK ist doch irgendwie anders als das Brevetfahren in Deutschland.
Dann wird es acht Uhr und man fährt einfach los. Keine Ansprache vor dem Start, hier weiß jeder, was er tut. Ich frage eine kleine Gruppe, ob ich ihr folgen darf und werde darauf hingewiesen, dass nach Wegbeschreibung gefahren wird. Das GPS Gerät dient nur als Hilfe. Andere Länder, andere Sitten. Ich folge also und bekomme als Erstes eine touristische Tour durch Oxford geboten. Kein schlechter Anfang des Brevets und absolut beeindruckend.
Wir verlassen Oxford und an den ersten Steigungen sind mir meine Mitfahrer einfach zu langsam. Die lassen es ganz gemütlich angehen. Also ziehe ich ganz ungestüm an ihnen vorbei. Bon voyage! Doch nach kurzer Zeit verpasse ich einen Abzweig. Die Streckenführung ist nicht schwierig, aber man muss schon aufpassen. Daraufhin schließe ich mich einer weiteren Gruppe an. Sechs Fahrer in gutem RTF Tempo. Das sollte doch passen. Die Landschaft erinnert durchaus an Schleswig-Holstein und auch der Zustand der Straßen ist ähnlich. Allerdings hat der anhaltende Regen der letzten Tage die Strecke ziemlich geflutet. Immer wieder gibt es riesige Pfützen, denen man ausweichen muss.
Über kleine, kurvige Straßen geht um Swindon herum nach Malmsbury, dem Ort der ersten Kontrolle. Die Gruppe hat sich an den ersten ernstzunehmenden Steigungen zersplittert. Als Durchfahrtbeleg dient eine Quittung, die man beim Kauf in einem örtlichen Geschäft erhält. Für mich die Gelegenheit endlich zu frühstücken. Nach achtzig Kilometern bin ich auch ernsthaft hungrig. Da es immer noch regnet, wird es beim Essen schnell kalt und ich beschließe, mich nicht aufzuhalten und weiterzufahren.
Hinter Circencester komme ich endlich in die Cotswolds. Hier sollte es hügliger werden, so versprach es das Anschreiben des Veranstalters. Aber so richtig schlimm scheint es gar nicht zu sein. Immer wieder kleine Steigungen, höher als daheim, so dass man doch auf das kleine Kettenblatt wechseln muss. Aber alles fahrbar und die Steigungen werden nicht steiler als 8 Prozent. Langsam schraube ich mich auf das Niveau hinauf. Doch dann geht es hinter Compton Abdale plötzlich rasant in ein Tal hinab. Eine Hauptstraße muss überquert werden um dann wieder nach oben zu kommen. Ein Wand baut sich vor mir auf! Letztlich sind es nur 15 Prozent, aber ich bin nun einmal kein Bergfloh und es ist schließlich Januar. Deshalb keuche ich am Ende meiner Kräfte, als ich endlich wieder oben bin.
Noch einige Male komme ich an meine Grenzen und verstehe jetzt, wieso diese Strecke knapp 2000 Höhenmeter aufweist. Glücklicherweise führt die Strecke aber über viele kleine Straßen, so dass der Autoverkehr kein Problem darstellt. Und wenn ein Fahrer überholen will, wartet er, bis er freie Sicht hat. Kein Gedrängel und keine Waghalsigkeiten, Engländer sind doch höfliche Menschen! Gegen drei Uhr habe dann endlich die zweite Kontrolle in Chipping Campden erreicht. Mittlerweile habe ich wieder richtig Hunger und eine erneute Zufuhr von Sandwisches mit Cola ist notwendig. Dies ist dann auch die Gelegenheit sich ein weiteres Mal mit Fahrern zu unterhalten. Fast jeder scheint im letzten Jahr in Frankreich gewesen zu sein. Da ich mittlerweile komplett durchnässt bin, auch die „wasserdichten“ Handschuhe triefen vor Feuchtigkeit, halte ich mich nur kurz auf, denn ich friere. Obwohl es sieben Grad über Null sind, fühlt es sich kalt an.
Auf dem Rad ist es besser. Nach kurzer Zeit wird es mir wieder wärmer, der Streckenführung und den Cotswolds sei Dank! Die Steigungen werden wieder moderater, der Regen leider nicht. Dafür wird es aber nun dunkel und ich schalte nach und nach immer mehr Licht an. Um 16:30 Uhr ist es dann wieder Nacht, aber noch liegt ein gutes Stück vor mir. Bei Tageslicht wäre die verwinkelte gut zu fahren, doch in der Dunkelheit muss ich gehörig aufpassen. Kurz vor Witney führt die Strecke dann auf größere Straßen. Der Verkehr nimmt zu und so richtig Spass macht das nicht mehr. Doch die Autofahrer nehmen nach wie vor Rücksicht und auch auf dem Zubringer, der zum Ziel führt hat mich niemand überfahren. Um 17:44 Uhr hole ich mir bei Starbucks einen doppelten Espresso und mit der Quittung den Beleg für die Ankunft im Ziel. Dort treffe ich auch wieder auf Alan Parkinson vom South Western Road Club, mit dem ich schon zu Anfang zusammenfahren durfte. In den Hügeln war er davongeeilt, doch an den Kontrollen hatte er sich mehr Zeit gelassen. So hatten wir Gelegenheit noch ein paar Worte auszutauschen, bevor ich mich auf den Weg ins Hotel und unter die warme Dusche machte.
Den Sonntag habe ich dann noch mit meiner Frau in Oxford verbracht. Ein wenig Sightseeing, ein wenig Bummeln und zum Abschluss den Evensong in der Kirche des Christ Church College.